Ein inszenierter Justizirrtum und seine Verbindung zu gegenwärtigen Morden an kleinen Kindern. (DR) Der Roman setzt mit dem Heimweg der kleinen Halbwaise Emilie ein; sie ist ein verträumtes Kind, denkt viel an ihre Mama, die jetzt im Paradies sein soll. Die zweite Szene bringt die Leser/innen in Kontakt mit der jungen Wissenschaftlerin Inger Johanne Vik, die sich auf das Erstellen von Täterprofilen versteht; die in einem Gespräch mit einer schwerkranken alten Dame erfährt, dass vor einigen Jahrzehnten der Falsche als Mädchenschänder verurteilt wurde. Dann die Talkshow, in der Inger weggeht und die Selbstgerechten hinter sich lässt; dann noch Ingers eigene kleine Tochter, die an einer mysteriösen Geisteskrankheit leidet und dann noch... Anne Holt legt mehrere Spuren, hochdramatische Einzelschicksale, die beim Lesen auf einmal "normal" zu werden beginnen, wie auch das Schicksal des Kommissars der norwegischen Kriminalpolizei, der, so steht es im Buch, ein Schicksal hat, wie es höchstens John Irving einem erfinden könnte. Die Schicksale der entführten Kinder, die Dialoge, die Emilie mit ihrer toten Mutter führt, die Reaktion der Familien der entführten und getöteten Kinder bilden ein dynamisches Ganzes, das niemals aus dem Rhythmus fällt, das sinnvoll auf die Lösung des Falles zusteuert. Ein Roman, der in manchen Abschnitten - Darstellung der Justizhierarchie, die Empörung über Kindermorde, der Wahnsinn des Täters/der Täterin (nichts verraten!!) - an Dürrenmatts "Das Versprechen" erinnert. Am Ende wird zwar der Mörder gefasst, die Fragen an die Logik des Lebens bleiben aber offen, und das ist gut so. Sehr zu empfehlen: spannend, kritisch, zart, detailgenau und ein bisschen verrückt. *bn* Christina Gastager-Repolust
Personen: Holt, Anne
Holt
Holt, Anne:
In kalter Absicht / Anne Holt. - München : Piper, 2002. - 364 S. - Aus dem Norweg. von Gabriele Haefs
ISBN 978-3-492-04423-3 kt. : 9,90
Schöne Literatur - Buch